Bundesliga-Geschichte

Die krassesten Abstiegskrimis

02.07.2020 um 06:54 Uhr

Bayern ist zum achten Mal in Folge Meister. Ist die Bundesliga also langweilig? Mitnichten, wie die krassesten Abstiegskrimis aller Zeiten zeigen.

"Ich melde mich vom Abgrund"

Die Bundesliga-Saison 1998/99 bot wohl den spektakulärsten Abstiegskrimi aller Zeiten. Am letzten Spieltag zitterten so viele Mannschaften wie noch nie um den Klassenerhalt. Zwischen Platz 16 Eintracht und Nürnberg Platz 12 lagen nur 3 Punkte. Die beiden Teams und alle Clubs dazwischen konnten noch absteigen. Nürnberg schien dabei mit drei Punkten und fünf Toren Vorsprung auf Frankfurt noch am wenigsten gefährdet.

Frankfurt dagegen musste auf ein Fußballwunder hoffen, hoch gewinnen und auf Ergebnisse der anderen Plätze zählen. Schützenhilfe sollte zum Beispiel der SC Freiburg geben, gegen den Nürnberg lediglich ein Punkt gereicht hätte, um die Klasse zu halten. Aber man ahnt es schon: Weil der Club eben "a Depp" ist, wie die Franken liebevoll sagen, verliert er knapp gegen den SC Freiburg.

Frankfurt dagegen schießt in der Schlussphase gegen Kaiserslautern Tor um Tor, macht das Unmögliche möglich und gewinnt tatsächlich 5:1. Und weil auch Hansa Rostock in der Schlussphase siegt, steigen die so sicher geglaubten Nürnberger doch noch ab. Kurz vor Schluss sendete Radioreporter Günther Koch die inzwischen legendären Worte aus Nürnberg: "Ich melde mich vom Abgrund".

Skandalspiel in Düsseldorf

In Düsseldorf – ach was, über das Rheinland hinaus – bleibt die legendäre Relegation 2012 unvergessen. Zwar redete am Tag nach dem denkwürdigen Rückspiel kaum jemand über Fußball, eines der denkwürdigsten Relegationsspiele war es trotzdem.

Aber von Anfang an: Nach einem 2:1-Sieg im Hinspiel in Berlin wären die Düsseldorfer mit einem Unentschieden oder einem 1:0 weiter. Nach Jahren der Zweitklassigkeit und sogar Aufenthalten im Amateurfußball, in dem die Fans ihre Fortuna immer begleiteten, bedeutete das die Rückkehr in den Profibereich. Man braucht es also nicht extra zu erwähnen: Während sich die Hertha einen Abstiegskrimi auf Hollywood-Niveau lieferte, stand ganz Düsseldorf Kopf. 

Kurz vor Schluss steht es 2:2, als ein Großteil der Düsseldorfer Fans es trotz einem großen Aufgebot an Ordnern schafft, über die Bande zu klettern. Die Fans befinden sich nur noch Zentimeter neben der Seitenlinie auf dem Rasen. Nachdem schon das Spiel über nicht an Pyrotechnik gespart wurde, werden auch jetzt Bengalos gezündet. Was auf die Ereignisse folgt, ist eine Tortur. Das Spiel wird unterbrochen, 20 Minuten weiß niemand im Stadion wie es weiter geht. Dann wird wieder angepfiffen – die Hertha hat zugesagt, das Spiel zu Ende spielen zu wollen. 

Die Partie endet wenige Minuten später, woraufhin das Stadion endgültig explodiert: Die Fans stürmen auf den Platz und feiern gemeinsam mit dem Team. Die Hertha-Spieler gehen derweil den Schiedsrichter an, weil dieser 30 Sekunden zu früh abgepfiffen hat. Der DFB verhängt anschließend übrigens die längste Strafe der Bundesliga gegen einen Hertha-Spieler, der den Schiedsrichter schlägt. Die Düsseldorfer interessieren sich zu diesem Zeitpunkt aber schon gar nicht mehr dafür: Die Nacht wird zur Party, die Fortuna-Spieler zünden am Ende sogar Pyrotechnik in einer Diskothek.

"Bürgerkriegsähnliche Zustände" in Leipzig

1984 passiert etwas, dass es vorher nicht gab: Chemie Leipzig und Union Berlin stehen tor- und punktgleich auf dem vorletzten Tabellenplatz. In der DDR-Oberliga müssen Entscheidungsspiele her. Für die Ostclubs mit den größten Fanlagern also ein Abstiegskrimi, der seinesgleichen sucht. 

Es reisten so viele Berliner in die Messestadt, dass niemals alle Fans ein Ticket für das kleine Leutzscher Stadion bekommen konnten. Im Abstiegskrimi war es ihnen aber egal: Diejenigen, die keine Karte mehr bekommen hatten, versuchten durch die angrenzenden Gärten kriechend Zugang zum Stadion zu erhalten – auch wenn die meisten erwischt wurden. Die Polizei sammelte sie in einer Sporthalle und ließ sie erst nach dem Spiel wieder frei. Die Fans waren so unter Strom, dass die Stasi dem Stadtteil rund um das Stadion "bürgerkriegsähnliche Zustände" attestierte.

Auch wenn diese Wortwahl sicherlich übertrieben ist, war das Stadion voll und die Atmosphäre atemberaubend. 22.000 Zuschauer sehen in einem überfüllten Leutzscher Stadion eine hochspannende Partie. Das Stadion muss so laut gewesen sein, dass die Spieler teilweise die Pfiffe des Schiedsrichters nicht mehr hörten: Nach einem Abseitstor von Chemie bekam niemand im Stadion mit, dass es nicht zählte – auch einige Spieler nicht. Als kurz darauf Union ein Tor erzielte, zählte es nicht, weil das Spiel längst unterbrochen war. Nach ganzen sieben Minuten Nachspielzeit feierten die Leipziger den Sieg ihrer Chemiker.

Damals noch ein Dino: Der HSV im Glück

Bruno Labbadia steht mit dem Rücken zur Wand, als er 2015 den Trainerposten des akut abstiegsbedrohten HSV übernimmt. Er hofft, dass sein Team irgendwie noch die Wende schafft. Was er damals noch nicht wissen kann: Ihm steht eine der knappsten Aufholjagden der Bundesligahistorie bevor.

Von Platz 17 schaffen es die Hamburger am letzten Spieltag, sich in die Relegation zu retten – unter anderem, weil Freiburg an diesem Tag in Hannover verliert. Nachdem sich Relegationsgegner Karlsruhe in Hamburg ein 1:1 erkämpfte, stand der HSV beim Rückspiel ordentlich unter Druck. Und der erhöhte sich durch das 1:0 für Karlsruhe in der 78. Minute. 
  
In der 91. Minute, als den Hamburger SV nur noch zwei Minuten restliche Nachspielzeit vom Bundesliga-Abstieg trennen, meint es der Fußballgott gut mit den Hanseaten. Der Schiedsrichter ahndet ein Handspiel der Karlsruher: Es ist eine Fehlentscheidung. Diaz lässt sich davon nicht beirren und versenkt den Freistoß in allerletzter Minute – Hamburg rettet sich in die Verlängerung des schon jetzt unglaublichen Abstiegskrimis.

Für den fast schon aufgestiegenen KSC kommt es, wie es kommen muss: Müllers Treffer in der 115. Minute macht die Bundesliga-Hoffnungen zunichte. Es ist der Schlusspunkt einer Saison, in der die Hanseaten mit mehr Glück als Verstand die Erstklassigkeit halten. 

Die wundersame Rettung Gladbachs

Die Saison 2010/2011 hielt nicht viel Gutes für Borussia Mönchengladbach bereit – bis auf das Ende. Denn eigentlich rangierten die Gladbacher seit dem 9. Spieltag auf einem direkten Abstiegsplatz. Doch zwei Spieltage vor Schluss schafften die Gladbacher dank eines späten 2:0 gegen Freiburg und eines erkämpften 1:1 gegen Hamburg den lang ersehnten Sprung auf den Relegationsplatz.

Im Hinspiel der Relegation gegen Bochum traf Igor de Camargo in der letzten Minute zum 1:0. Und auch das Rückspiel des Abstiegskrimis sollte spannend bleiben: Lange führte Bochum 1:0, bis Gladbach am Ende zum 1:1 einnetzte. Den Treffer schoss – na klar – Marco Reus. Der damalige Trainer war übrigens ein gewisser Lucien Favre. Nach dem Klassenerhalt sagte er: "Wir haben alle zusammen ein Wunder geschafft". Wenn selbst der notorisch sachliche Favre so euphorische Worte wählt, muss das schon etwas heißen.

Tränenreich in Liga 2

Alle paar Jahre freut sich Fußballdeutschland über ein direktes Abstiegsduell am letzten Spieltag. 1996 war es wieder einmal soweit: Am 34. Spieltag muss der 1. FC Kaiserslautern in Leverkusen gewinnen, um den ersten Abstieg aus der höchsten deutschen Spielklasse zu verhindern. Und das gegen ein Team, das selbst noch gefährdet ist, abzusteigen.

Für die Roten Teufel fing eigentlich alles gut an: Pavel Kuka brachte den FCK in der 58. Minute in Führung. Leverkusen wäre damit abgestiegen. Mit einem 1:1 in der 82. Minute schießt Markus Münch die Leverkusener aber aus der Gefahrenzone. Mit einem Remis wäre der Abstieg von Bayer verhindert.

Nach spannenden Schlussminuten bleibt es dann auch beim 1:1. Für den FCK bedeutete das den Gang in die zweite Liga. Unvergessen sind die Bilder, auf denen sich Andreas Brehme an der Schulter seines Gegners Rudi Völler ausheult. Einziges Trostpflaster für die Pfälzer: Nach einem Jahr der Zweitklassigkeit folgte der direkte Wiederaufstieg – und darauf die direkte Meisterschaft, was bis dato noch keinem anderen Team gelang.