Kein Platz für Beziehung zwischen Sohn und Vater

Bjarne Mädel im Interview zur „Sörensen“-Fortsetzung: Wie heißt er mit Vornamen?

10.10.2023 um 13:08 Uhr

Kommissar Sörensen ermittelt in seinem zweiten Fall - trotzt Angststörung. Bjarne Mädel spielt wieder die Hauptrolle und führte Regie. Im Interview zum Film erklärt er, was ihn bei deutschen Krimis häufig stört.

Eine Angststörung ist für einen Polizisten ungefähr so hilfreich im Job, wie Höhenangst für einen Kranführer. Kriminalhauptkommissar Sörensen will den Dienst jedoch nicht quittieren und flüchtete in "Sörensen hat Angst" vom hektischen Hamburg in die friesische Kleinstadt Katenbüll.

Dort warteten allerdings verstörende menschliche Abgründe auf ihn, die nicht unbedingt hilfreich sind beim Umgang mit psychischen Erkrankung. Bjarne Mädels mehrfach preisgekröntes Regiedebüt von 2021 beeindruckte jenseits aller Genrekonventionen und daran will auch die Fortsetzung "Sörensen fängt Feuer" anknüpfen: mit einer eigenen atmosphärischen Darstellungs- und Bildsprache, in lakonisch-derbem-norddeutschem Tonfall und mit einem sorgfältig ausgewähltem Cast.

"Sörensen fängt Feuer" ab 11. Oktober in der ARD-Mediathek

Sörensen leidet in der friesischen Provinz unter Einsamkeit, Schlaflosigkeit und einer inneren Unruhe. Die Medikamente gegen die Angststörung will er dennoch absetzen. Da überfährt er nachts auf der Landstraße beinahe eine junge, verstörte und blinde Frau im Nachthemd. Als sie Sörensen ihre Identität verrät, gerät er in ein Geflecht aus Mord, religiösem Wahn und gut gehüteten Geheimnissen.

Ein Interview von TV DIGITAL Chefreporter Mike Powelz

Bjarne Mädel, Sörensens Markenzeichen haben sich im 2. Film ziemlich verändert: Wo er früher eine Angststörung hatte und sie nur beiseite schieben konnte, wenn er funktionieren musste, lässt er seine Pillen gegen die Störung jetzt weg – und wird nervös, aggressiv, direkt und eine Laberbacke mit Fettnäpfchenpotential. Richtig wahrgenommen?

Bjarne Mädel: Ja, genau. Die Angststörung ist natürlich nicht einfach weg, aber wir haben versucht, für die Angst einen anderen Ausdruck zu finden, indem Sörensen als „kleine Erinnerung“ auftaucht. Er steht mehrfach quasi kopfschüttelnd neben seinem erwachsenen Ich, guckt es sich an – und fragt sich, was ist aus mir nur geworden. Dieser Spiegel durch das Kind ist insofern realistisch, weil Angstpatienten oft auf sich selbst gucken und sich fragen, wie es sein kann, dass sie „nicht richtig“ sind.

Hat Sven Stricker Ihnen wieder Tipps darüber gegeben, was alles passiert, wenn Menschen mit einer Angststörung ihre Pillen absetzen? When the pills don’t kick in any more?

Eigentlich nicht. Beim ersten Film, „Sörensen hat Angst“, hat er mir ja schon sehr viel über Angststörungen verraten – insofern kommen die Dinge, die zur Angst dazu gehören, leider einfach wieder mehr aus einem raus, wenn man die Medikamente absetzt. Lustigerweise ist der Wirkstoff in „Sörensen fängt Feuer“ ja in den 24 Stunden nach dem Absetzen der Pillen immer noch in seinem Körper, als er schon seine Redeanfälle bekommt und verbal über das Ziel hinausschießt. Es handelt sich also um einen „umgekehrten“ Placebo Effekt.
Was ist das Thema von „Sörensen fängt Feuer“?
Das Überthema ist Einsamkeit und wohin die Angst vor ihr führen kann. Irgendwie stehen alle Charaktere ständig verloren in der Gegend rum, suchen irgendwo Halt und einige schließen sich deshalb einer fragwürdigen Gruppe an. Das ist ja leider sehr aktuell, weil viele Menschen, bloß um irgendwo dazuzugehören, oft gar nicht merken, wie fanatisch eine Sache ist oder noch werden kann.

Ist der Krimi eine 1:1- Verfilmung der Buchvorlage?

Größtenteils ja, wobei sich natürlich nicht alles unterbringen lässt. Beispielsweise fehlt Sörensens Vater erneut, der in den Romanen eine wichtige Funktion hat. Wir mussten die schöne Beziehung zwischen Sohn und Vater aus Zeit- und Platzgründen bei den Filmen komplett rauslassen. 

Wie war es für Sie, zum zweiten Mal Regie zu führen? Beim 1. Film wollten Sie ja kein Schnittgewitter, keine Establisher Shots. Worauf haben Sie den Fokus diesmal gelegt?

Beim ersten Fall wollten wir mit den betroffenen Kindern auf Augenhöhe sein, weshalb wir mit der Kamera tendenziell eher von unten gefilmt haben und wir waren oft sehr nah an Sörensens Kopf dran, wo sich die Angst hauptsächlich befand. Dieses Mal haben wir aufgrund der Themen Glauben und Religion eher einen Draufblick von schräg oben, also von dort, wo meistens das Kreuz hängt und die Religion und die Kirche symbolisch auf uns heruntergucken. Dafür haben wir schöne Bilder gefunden. Die Kamera klemmte oft ziemlich doll unter der Decke, wodurch sich viel „Headroom“ bzw. „Kopfraum“ im Bild ergab – also viel Luft über den Figuren, die dadurch auch in den Räumlichkeiten noch verlorener wirken. Dem Kameramann Kristian Leschner und mir war es wichtig, die Vereinsamung sowie das Verlassene und Verlorene der Figuren zu erzeugen.

Zum Filmende hin zeigen Sie eine völlig neue, darstellerische, visuelle Form der Krimiauflösung – Flashbacks, aber als Rundgang, wie beim Theater, mit hellen und abgedunkelten Hot Spots. Warum dieser Stil?

Anfangs wusste ich nicht, wie ich diese Szene drehen soll, ohne dass sie mich selber langweilt. Sie war fast ein Grund, den Film nicht machen zu wollen – weil es eben nicht nur eine erklärende „Krimiszene“ sein sollte, in der am Schluss alles aufgeklärt wird. Solche Szenen finde ich als Zuschauer todlangweilig. Aber weil es nun mal einen Abschluss des Krimiplots brauchte, musste ich da eine Lösung finden. Zum Glück kamen wir auf die Idee, dass wir die Auflösung – genau wie auch den Vorspann – nur auf das Wesentliche reduzieren und die Personen und ihre Handlungen in einer theatral-reduzierten Form ausstellen können.

Ihr Film unterscheidet sich deutlich von anderer deutscher Krimikost. Wollen Sie sich bewusst davon absetzen, ein Zeichen setzen, es besser machen? Langweilen Sie deutsche TV-Krimis?

Wenn ich das jetzt pauschal bejahe, würde das sehr eitel klingen. Aber ja, oft ärgere ich mich darüber, dass sich nicht genug Mühe gegeben wird. Wenn die Leiche mehrfach sichtbar atmet, ärgere ich mich über die Lieblosigkeit, mit der ein Film durchgewunken wird. Und ich habe manchmal das Gefühl, dass man sich beim Krimi zu oft auf den Plot verlässt und annimmt, dass die Zuschauer sowieso wegen der inhaltlichen Auflösung dranbleiben, dass die Geschichte irgendwie künstlerisch ungestaltet runtergefilmt wird.

Sehen Sie in einer der weiteren Stricker-Romane Potenzial für einen dritten Sörensen-Film?

Ich habe alle gelesen, und ja, es gibt eine sehr, sehr verrutschte Sexszene zwischen Jennifer und Sörensen. Die wäre es auf jeden Fall wert, noch verfilmt zu werden. Andererseits denke ich aber auch, dass ich, gesetzt den Fall, dass ich nochmal Regie führe, das nicht unbedingt in dem Genre Krimi machen muss.

Zum Krimithema „Religion, Ausgrenzung, Bigotterie, Doppelbödigkeit, Scheinheiligkeit, religiöser Wahn“. Das Thema könnte man ja groß in den Fokus des Films stellen, aber als Zuschauer hat man den Eindruck, Ihnen und vielleicht auch Sven Stricker geht’s eher um einen Ausschnitt aus einer Lebenswelt, möglichst authentisch und detailreich, bewusst nicht effekthascherisch und mit Humor und Alltagshorror. Korrekt?

Ja, total. Das Thema Fanatismus und wohin das führt, soll man natürlich sehr ernst nehmen. Aber es gibt auch die andere Seite, etwa, wenn eine Filmfigur sagt, dass man sich als Außenstehender wahrscheinlich gar nicht vorstellen kann, wie glücklich manche Menschen innerhalb einer solchen Gemeinschaft sind – und wie geborgen sie sich darin fühlen. Diese beiden Seiten der Medaille zu beschreiben, finde ich wichtig. Aber mir sind die Alltäglichkeiten und kleinen Interaktionen, genau wie das Sozialleben zwischen den Figuren, in diesem Fall wichtiger als den Fokus auf das große politische Thema zu legen.

Sind Sie religiös, gehören Sie einer Glaubensgemeinschaft an – und glauben Sie an Gott und Teufel?

BM: Nein. Für mich ist der Glaube an Gott und die Hölle ein total absurdes Ding. Ich denke, dass die Menschen Angst vor dem Tod haben, weil sie ihn sich nicht erklären können und sich deshalb eine Religion gebaut haben, um Trost im Glauben an ein Paradies zu suchen. Ich persönlich finde auch die Verbindung von Staat und Kirche schwierig, und auch, dass Religionsvertreter die Menschen kontrollieren wollen und manche Glaubensrichtungen andere Glaubensrichtungen nach dem Motto ausschließen: Wir glauben an das Richtige, also muss dein Glaube falsch sein. Es gibt ein schönes Beispiel von Ricky Gervais. Er ist Atheist, und sagt: „Es gibt 3.000 Religionen auf der Welt, du glaubst an 2.999 nicht, wenn du nur an Jesus und an Gott glaubst. Ich glaube nur an einen! mehr! – nicht!, als Du.“ Oder nehmen wir die „Tatortreiniger“-Autorin Ingrid Lausund. Sie hat einen Monolog über das Thema Glauben und was passiert mit uns nach dem Tod mit dem Titel „Der geflügelte Froschgott“ geschrieben. An den haben irgendwann ja auch mal irgendwelche Leute geglaubt – aber wir glauben heute eben nicht mehr an ihn. Genau so absurd ist für mich aber auch der christliche Gott, an den ich glauben soll, was ich aber nicht kann. Wenn ich an etwas Religiöses glaube, dann an eine gemeinschaftliche Energie. Und ich glaube, dass wir eine Seele haben, die auch irgendwie weiterlebt – ohne dass ich weiß, ob ich das dann noch mitbekomme, wenn ich tot bin. Trotzdem soll jeder glauben, was er möchte, solange er nicht fanatisch wird und andere Menschen nicht dabei ausgrenzt oder sich über andere und ihren Glauben oder ihren Nichtglauben erhöht.

Abschließend noch Hand aufs Herz: Sörensen muss doch mit Vornamen Frank heißen, oder?
Frank Sörensen? Wieso?

Weil Sven Stricker Sörensen keinen Vornamen gegeben hat – genau wie beim vornamenlosen Columbo, über den später rauskam, dass er Frank heißt …
Sven Strickers Verabredung mit Rowohlt ist, dass das letzte Wort im letzten Sörensen-Band Sörensens Vorname sein wird. Aber weil er nicht weiß, wann er den letzten Sörensen-Krimi schreiben wird, kennen den Namen bisher nur er und seine Tochter. Ihr hat er ihn verraten, weil er Angst hatte, dass er ihn vielleicht vergessen könnte. Ich persönlich kann mir gut vorstellen, dass Sörensen aufgrund seiner Eltern, die in ihrer Jugend in psychodelische Drogenwelten eintauchten, einen krassen Phantasienamen hat.

 "Sörensen fängt Feuer" ist ab Mittwoch, 11. Oktober, in der ARD Mediathek zu sehen, am 18. Oktober läuft er um 20.15 Uhr im Ersten.

 

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