Organspende ist ein Wettlauf gegen die Zeit

„Leben über Kreuz“: Packendes TV-Drama zum Thema Organspende

09.05.2022 um 12:23 Uhr

In Deutschland gibt es zu wenig Organspenden. Wie dramatisch die Situation für die Patienten ist, zeigt der neue ZDF-Film „Leben über Kreuz“.

Der menschliche Körper ist ein Wunder. Jeden Tag strömen 11.000 Liter Luft durch unsere Lunge. In derselben Zeit filtern unsere Nieren 1500 Liter Blut, unser Herz zieht sich rund 100.000- mal zusammen. Erst wenn unsere Organe nicht wie gewohnt arbeiten, spüren wir, wie lebenswichtig sie sind. In Deutschland warten zurzeit etwa 8730 Menschen auf ein neues Herz, eine neue Niere, Lunge oder Leber. Aber aus der Erfahrung der vergangenen Jahre wissen Experten schon jetzt: Auch 2022 wird es nur knapp 3000 Spenderorgane geben. Für viele Menschen ist es ein Wettlauf gegen die Zeit.

Das macht der neue ZDF-Film „Leben über Kreuz“ (Mo, 9. Mai, 20.15 Uhr im ZDF und unten in der Mediathek) mit Benjamin Sadler eindrucksvoll deutlich: Caren braucht eine neue Niere, Jan auch. Ihre Ehepartner kommen als Spender nicht infrage. Deshalb schlägt der Arzt eine „Spende über Kreuz“ vor. Dafür müssen sich die ungleichen Paare allerdings anfreunden, um vor einer Ethikkommission zu bestehen.

TV Digital hat mit Experten sowie Betroffenen gesprochen und zeigt, wie jeder zum Helfer werden kann.

Vier Jahre lang hat Tomas de Niero auf den rettenden Anruf gewartet. „Wir haben eine Niere“, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. Dann musste an diesem Sommerabend im August 2020 alles ganz schnell gehen. Eilig packte der gebürtige Berliner, der inzwischen auf Mallorca zu Hause ist, die wichtigsten Sachen für seine Zeit im Krankenhaus. Kurz darauf, gegen 22 Uhr, lag er bereits auf dem Operationstisch – das Organ muss innerhalb weniger Stunden verpflanzt werden.

Was er über die Herkunft seiner neuen Niere weiß: Die Person war 56 Jahre alt. Alles Weitere bleibt unbekannt. Jeder Betroffene fragt sich: Wer war der Mensch, dessen Organ nun im eigenen Körper arbeitet? Kam er bei einem Unfall ums Leben? Auch Tomas de Niero kennt diese Gedanken. „Aber darüber habe ich nur in der ersten Zeit nachgedacht. Ich habe schnell eine große Dankbarkeit gespürt, dass ich leben darf.“

Etwa zwölf Jahre kann eine Spenderniere im fremden Körper arbeiten

Für Tomas de Niero war es ein Segen, dass Mallorca seine neue Heimat geworden ist. In Deutschland hätte er noch länger auf ein Organ warten müssen – im Durchschnitt sind es acht bis zehn Jahre. Der Grund ist einfach: In Spanien gilt die Widerspruchsregel. Jeder, der sich nicht ausdrücklich dagegen ausspricht, wird automatisch zum Organspender. Anders als in der Bundesrepublik: Hier muss man sich aktiv bemühen und einen Organspendeausweis ausfüllen. Der Weg des Mittelmeerstaats ist erfolgreich: In kaum einem anderen Land gibt es so viele Organspender wie in Spanien. 2020 waren es pro eine Million Einwohner 49,6 Spender – in Deutschland nur 9,6.

Hinter den Zahlen stecken Schicksale wie jenes von Tomas de Niero. Er sagt: „Vor dem Tod habe ich keine Angst, aber vor dem Dahinsiechen.“ Der 63-jährige Musikproduzent lebt heute sehr gut mit seiner neuen Niere. Es war bereits die zweite Transplantation nach der ersten 2004. Etwa zwölf Jahre kann eine Spenderniere im fremden Körper arbeiten, ein Herz bis zu 30.

Das Warten ist eine harte Probe Was Tomas de Niero sehr geholfen hat: „Ich bin mental ein starkes Kerlchen und habe diese lebensbejahende Grundeinstellung“, sagt der Vater einer erwachsenen Tochter, der seine Geschichte in dem Buch „Nur eine kleine Operation“ (Osnaton Verlag, 216 Seiten, 19,95 Euro) aufgeschrieben hat. Der Berliner Professor Felix Schönrath weiß, welche Rolle die Psyche der Transplantationspatienten spielt.

Eurotransplant koordiniert die Vergabe der Organe

Nahezu täglich erlebt er auf seiner Station Menschen, die voller Hoffnung und Zuversicht, enormer Kraft stecken, aber auch Ängste in der unsicheren Situation und vor einer solch einschneidenden Operation spüren. Der Kardiologe leitet die Bereiche Herzinsuffizienz- und Herztransplantation am Deutschen Herzzentrum Berlin. „Wenn jemand erfährt, dass er so schwer krank ist, dass er ein neues Herz braucht, und ich im nächsten Satz sagen muss: ,Wir haben leider kein Organ für Sie‘, dann ist es schwer, damit umzugehen“, weiß Prof. Schönrath. „Eine stabile Psyche ist sehr hilfreich.“

Die Stiftung Eurotransplant koordiniert die Vergabe der Organe für Deutschland, Ungarn, die Beneluxländer, Österreich, Kroatien und Slowenien. Die Empfänger werden nach Größe, Gewicht und Blutgruppe ausgesucht. Wer bereits sehr schwach ist, wartet in Deutschland etwa drei bis sechs Monate im Klinikbett auf das neue Herz, die Niere oder Lunge. Wer noch zu Hause sein kann, muss jahrelang geduldig bleiben. Oft verbringt man diese Zeit dann mehrere Stunden am Tag an der Dialyse – wie im Fall von Tomas de Niero.

Auch Elke Büdenbender, die Gattin von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, hat das erlebt – bis ihr Mann ihr 2010 eine Niere spendete. Über die harten Momente des Wartens und ihr neues Leben danach spricht die 60-jährige Juristin in dem neuen Buch „Der Tod ist mir nicht unvertraut“ (Ullstein, 224 Seiten, 24 Euro). Verfasst ist es als Dialog mit dem Transplantationsmediziner Prof. Eckhard Nagel, einem langjährigen Freund der Familie. „Warum? Warum ich? Warum jetzt? Eine schwere Erkrankung wirft diese Fragen auf“, berichtet Elke Büdenbender. „Ich kann sie nicht beantworten, aber sie haben mich weitergebracht, besser mit meiner chronischen Erkrankung zu leben und sie als Teil meines Lebens anzunehmen.“

Ein Wunder der modernen Medizin

Besonders schwer fiel es ihr, als Mutter einer damals jungen Tochter (geboren 1996) zu fühlen, dass das Leben ein schnelles Ende haben kann. „Ich habe immer eine große Dankbarkeit gespürt, dass es die medizinische Möglichkeit gab und gibt, mir zu helfen“, sagt Elke Büdenbender. Prof. Schönrath begegnet in seiner Ambulanz Patienten, die wenige Monate nach ihrem großen Eingriff wieder in den Urlaub fahren, Sport treiben oder in den Be[1]ruf zurückkehren. Auch Elke Büdenbender und Tomas de

Niero haben es so erlebt. „Die Lebensqualität ist hoch“, sagt der Musikproduzent. „Damit alles stabil bleibt, nehme ich etwa 500 Tabletten im Monat – dazu gehören etwa Immunsuppressiva, damit das Organ nicht abgestoßen wird, und Antibiotika gegen Infekte, für die ich in meiner Situation sehr anfällig bin.“ Laut Techniker Krankenkasse (TK) stehen 86 Prozent der Deutschen „eher positiv“ zur Organspende. Einen ausgefüllten Organspendeausweis haben allerdings nur 41  Prozent. Dabei ist es kein Aufwand: Unter organspende-info.de kann das Dokument online ausgefüllt und direkt ausgedruckt werden.

Wahlweise kann man sich den Ausweis zuschicken lassen. Der Bundestag hat beschlossen, dass bis Ende des Jahres ein Onlineregister aufgebaut werden soll. Prof. Schönrath appelliert: „Entscheidend ist, dass jeder von uns sich mit dem Thema auseinandersetzt: Möchte ich Organspender sein – ja oder nein? Es ist legitim, sich dagegen zu entscheiden. Aber man sollte nicht den Kindern oder Ehepartnern die Entscheidung aufbürden, wenn man selber dazu nicht mehr in der Lage ist. Ich bin der Meinung, wir können jedem Erwachsenen zumuten, diese wichtige Frage rechtzeitig für sich zu klären.“ Haben Sie sich schon entschieden?

 

 

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