ZDF-Doku beleuchtet wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich

„Terra X“: DARUM zerreißt Dirk Steffens einen 500-Euro-Schein

20.05.2021 um 12:46 Uhr

In den drei „Terra X“-Dokus „Wem gehört die Welt?“ (ab 23. Mai) beleuchtet Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens mit Experten die Geschichte des Reichtums: Vom sagenhaft reichen König Krösus, der vor mehr als 2500 Jahren lebte, bis hin zum Finanzkapitalismus unserer Tage. Vor laufender Kamera zerreißt der ZDF-Moderator dabei einen 500-Euro-Schein, um den Wert des Geldes als „kollektive Fantasie“ zu entlarven.

Ein Artikel von Hörzu-Reporterin Dago Weychardt

Es gibt Meldungen, die muss man zweimal lesen – und auch dann bleiben sie unvorstellbar. Etwa diese: Von April bis Ende Juli 2020 stieg das Vermögen der weltweit knapp 2200 Milliardäre um rund 28 Prozent auf die gewaltige Summe von zehn Billionen Dollar. Mitten in der Coronapandemie. Am kräftigsten fiel der Geldregen in den USA. Dort leben seit Jahrzehnten die meisten Milliardäre, die weltgrößte Volkswirtschaft hält fast ein Drittel des Weltvermögens, gefolgt von China. Die zum Bersten gefüllten Konten der Ultrareichen lösen bei manchem Neid aus.

Dabei galt das Anhäufen von materiellen Gütern historisch gesehen gar nicht immer als erstrebenswert. „Reichtum und die damit verbundene Macht hängen mit der Form und dem technologischen Stand einer Gesellschaft zusammen. Nomadische Gesellschaften sind nicht kapitalistisch. Für Nomaden ist Besitz Ballast“, sagt Dirk Steffens im Gespräch mit HÖRZU-Reporterin Dago Wexchardt.

Bis ins Mittelalter war Reichtum an Landbesitz geknüpft

„Das ganze Elend von Reich und Arm begann, als der Mensch vor zehn- bis zwölftausend Jahren sesshaft wurde“, so Steffens. „Einige Menschen hatten plötzlich ein Stück Land, ein Haus oder einen Speicher. Ein gut gefüllter Vorratsspeicher bedeutete größere Überlebenschancen, das nährte Gier und Neid.“ Bis ins Mittelalter war Reichtum vor allem an Landbesitz geknüpft. In der Feudalgesellschaft war nur eine kleine Oberschicht aus Adel und Klerus vermögend – auf Kosten der Mehrheit. „Das Lehnssystem wurde als gottgegeben verkauft“, sagt Steffens. „Die Idee ‚Vom Tellerwäscher zum Millionär‘ gab es in der Standesgesellschaft nicht.

Der soziale Aufstieg war in der Antike fast, im Mittelalter ganz ausgeschlossen.“ Das änderte sich allerdings mit der Erschließung neuer Handelswege und dem Aufstieg des Bürgertums im 15. und 16. Jahrhundert. Kaufmannsfamilien wie die Augsburger Fugger verdienten mit Baumwolle, Kupfer und Silber mehr Geld, als sie ausgeben konnten. Also ließen sie das Geld für sich arbeiten, wurden Bankiers und Kreditgeber. Der Geldverleiher Jakob Fugger, genannt „der Reiche“, konnte es sich leisten, Kaiser Karl V. einen Mahnbrief zu schreiben. Fugger hatte dem Monarchen mit Geld den Weg zum Thron geebnet. Nun forderte er seinen Einsatz zurück – samt Zinsen.

Leistung allein macht nicht reich

Die ersten Börsenmärkte und der Aktienhandel brachten im 16. und 17. Jahrhundert den nächsten großen Wandel. „Mit der Aktie begann eine völlig neue Art des Wirtschaftens. Nicht mehr Talent, Leistung oder Erfindungsgabe des Einzelnen entschieden über Erfolg oder Misserfolg“, erklärt Dirk Steffens. „Mit Aktien, also Firmenanteilen, ließen sich Risiken und Gewinne auf viele Schultern verteilen.“ Das Thema Reichtum kann man nicht beleuchten, ohne auch die Armut zu betrachten. Die Weltbank spricht von extremer Armut, wenn eine Person mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag auskommen muss. Nach dieser Definition galten 1981 rund 44 Prozent der Weltbevölkerung als arm. 2015 waren es nur noch zehn Prozent, also etwa 700 Millionen Menschen. Vor allem in China und Indien hat sich der Lebensstandard verbessert. „Die absolute Armut hat seit der Jahrtausendwende abgenommen.

"Warum sind dann nicht alle glücklich?“, fragt Steffens

„Weil die Reichen noch schneller reicher werden, als die Armen weniger arm werden. Es scheint widersprüchlich, ist aber eine Tatsache: Die Armut sinkt, während die Ungleichheit wächst.“ In Deutschland hält 1 Prozent der Bevölkerung rund 35 Prozent des gesamten Vermögens, so eine Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaft 2020. „Menschen sind nicht automatisch zufrieden, wenn sie genug für sich selbst haben“, sagt Steffens. „Wir brauchen auch das Gefühl der Fairness. Es gibt sehr viele Menschen, die sehr wohlhabend sind, aber nie Außergewöhnliches geleistet haben. Während andere 50 Stunden pro Woche schuften und damit nie zu Wohlstand kommen, was immer größere Bereiche der Mittelschicht betrifft. Bei uns wächst die Kluft zwischen Arm und Reich, beim Einkommen und vor allem beim Vermögen. Das führt in einem wohlhabenden Land wie Deutschland dazu, dass viele das Gefühl haben, die Gesellschaft zerbricht. In skandinavischen Ländern ist die Ungleichheit geringer, dort sind die Einwohner tendenziell glücklicher.“

Alles eine Frage des Glaubens

In der Sendung macht Steffens ein interessantes Experiment. Der Moderator zerreißt einen 500-Euro-Schein.

„Das erzeugt bei uns allen ein erhebliches Störgefühl“, so Steffens. „Dabei hat das dünne rosafarbene Papier nur einen Materialwert von ein paar Cent. Was es so wertvoll macht, ist unser gemeinsamer Glaube daran. Der Wert des Geldes ist eine kollektive Fantasie.“

Und wenn eine Mehrheit am System zweifelt, bricht es zusammen. So wie beim großen Börsencrash 1929, als Arbeitslosigkeit, politische Instabilität und Kriegsangst zum „Schwarzen Freitag“ führten. Dass Börsen die Resonanzböden der globalen Stimmung sind, zeigt gerade wieder die Coronapandemie. Sie schüttelt die Finanzplätze durch, bringt aber auch Gewinner in Bereichen wie Gesundheit und Technologie hervor. Die Aktie des Elektroauto-Herstellers Tesla etwa schoss in einem Jahr um 700 Prozent nach oben. Deswegen galt Unternehmensgründer Elon Musk für kurze Zeit sogar als reichster Mann der Welt vor Amazon-Gründer Jeff Bezos, der die Krone der Supermilliardäre seit vier Jahren innehat.

Was einst die Fugger oder Rockefellers waren, sind heute Machertypen wie Musk oder Bezos. Visionäre mit Ellenbogen und einem Gespür für Zahlen, Märkte und Trends. „Früher haben Leute wie Werner von Siemens als Ingenieure und Tüftler die ersten Produkte selbst entwickelt und anschließend daraus einen Weltkonzern aufgebaut“, so Steffens. „Musk dagegen hat nie etwas Bahnbrechendes erfunden, weder Elektroautos noch Raketen. Er ist ein sehr geschickter Vermarkter von Ideen.“ Der Einfluss der Finanzmärkte Im globalisierten Kapitalismus sind die Finanzgeschäfte geradezu explodiert.

„Niemals in der Wirtschaftsgeschichte ist der Finanzmarkt so dominant gewesen“, schreibt Volkswirt und Journalist Hans-Jürgen Jakobs in seinem Buch „Wem gehört die Welt?“ (Knaus, 680 S., 36 €). 1990 lag das Weltfinanzvermögen, das sich aus Aktien, Anleihen und Krediten zusammensetzt, bei 56 Billionen Dollar. Bis 2015 schwoll es auf 267 Billionen Dollar an. Die Realwirtschaft, also das Welt-Bruttoinlandsprodukt, wuchs im gleichen Zeitraum nur von 23 auf 73 Billionen Dollar.

In der Wirtschaft gilt: Wer nah am Geld ist, hat die Macht.

Larry Fink, Chef der weltgrößten Vermögensverwaltung Blackrock, galt als Kandidat für den Posten des Finanzministers, hätte die demokratische Kandidatin Hillary Clinton 2016 die US-Wahl gewonnen. Steffens: „Heute entscheidet Fink, wo über acht Billionen Dollar angelegt oder abgezogen werden. Er hat mit seinen Entscheidungen unglaublich viel Einfluss und muss sich nur seinem eigenen Aufsichtsrat gegenüber verantworten. Musk und Fink sind Beispiele für eine Welt, in der Aktien und Finanzmärkte den Ton angeben.“ 

Wirtschaftsexperten wie Jakobs weisen darauf hin, dass Vermögensverwaltungen kaum reguliert werden. Sie geben als Schattenbanken Kredite, finanzieren Immobilien, dominieren den Markt der indexbasierten Aktienfonds (ETFs), halten Anteile an Giganten wie Apple oder Exxonmobil, beraten Regierungen und Konzerne. Die Gewinne landen oft auf den Privatkonten von Milliardären, die so auch in der Pandemie immer reicher wurden. Das führt nicht nur zu mehr Ungleichheit, es beschleunigt auch die Zerstörung der Erde.

„Wirtschaftswachstum in seiner heutigen Form heißt Klimawandel“, betont Transformationsforscherin Maja Göpel in ihrem Bestseller „Unsere Welt neu denken“ (Ullstein, 208 S., 17,99 €). Die Ökonomin ist eine der Expertinnen in der „Terra X“-Reihe. Ideen für eine nachhaltigere, gerechtere globale Wirtschaft gibt es schon lange. Etwa die CO2-Abgabe, Finanztransaktionssteuer und das Schließen von Steuerschlupflöchern. Auch Dirk Steffens ist sicher: „Wachstum allein ist der falsche Maßstab für Erfolg. Gewinne aus Wachstum müssen soziale und ökologische Gewinne einschließen.“

"Terra X: Wem gehört die Welt?": Dreiteilige Doku im ZDF, ab 23. Mai, 20.15 Uhr und in der ZDF Mediathek.

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